Page 45 - Schönberg im Winter 2019
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Häid jõule!
Weihnachtliche
Traditionen in Estland
Das estnische Weihnachtfest „Joulud“ war während der sowjeti-
schen Besatzungszeit von 1940 bis 1991 verboten. Heute wird es
wieder ausgiebig gefeiert – mit vielen christlichen und heidnischen
Bräuchen, vom Weihnachtsbrotbacken bis zum Saunabesuch.
Spannende Vorweihnachtszeit: Wichtel und Hexen
In Estland freuen sich die Kinder auf einen Adventskalender der
anderen Art: Vor dem 1. Dezember legen sie ihre Hausschuhe
oder Socken auf die Fensterbank, die bis zum Heiligabend von den
Wichteln „Päkapikk“ mit kleinen Geschenken oder Süßigkeiten
gefüllt werden – natürlich nur, wenn die Kinder auch artig waren!
Besonders fleißig helfen die Kinder zum Beispiel beim Besenrei-
nigen: Dem Aberglauben nach treiben Hexen in der Adventszeit
ihren Unfug. Weil sie nur auf schmutzigen Besen reiten können,
müssen diese gründlich sauber gemacht werden!
Die Nummer eins: der Weihnachtsbaum in Tallin
Der Weihnachtsmarkt in Tallin ist einer der beliebtesten Weih- Foto: stock.adobe.com/kite_rin; Text: Jennifer Gregersen
nachtsmärkte weltweit. Seinen Mittelpunkt bildet jedes Jahr ein
großer Weihnachtsbaum, der in einem landesweiten Wettbewerb
nach strengen Kriterien ausgesucht wird. Bereits im Jahr 1441
soll auf dem Talliner Marktplatz der erste öffentlich geschmückte
Weihnachtsbaum gestanden haben. In privaten Wohnungen gibt
es die Tradition erst seit dem 19. Jahrhundert, zuvor wurden dort
„Weihnachtskronen“ aus Stroh aufgehängt. Übrigens ist auch das
deutsche Lied „Oh Tannenbaum“ in Estland populär, der Titel lau-
tet: „Oh kuusepuu, oh kuusepuu“. Auf dem Friedhof und am Esstisch: Gedenken an die Toten
Vor dem Weihnachtsmahl besuchen die Esten traditionell die
Heilige Pause: der Weihnachtsfrieden
Friedhöfe, um ihren verstorbenen Familienmitgliedern zu ge-
In Estland wird am 24. Dezember vom estnischen Präsidenten der denken und auf den Gräbern Kerzen zu entzünden. Nach dem
sogenannte Weihnachtsfrieden ausgerufen. Behörden sollen bis Weihnachtsessen lassen sie die übrig gebliebenen Speisen für ihre
zum 13. Januar möglichst keine Schriftstücke mit negativen Nach- verstorbenen Verwandten auf dem Tisch stehen.
richten verschicken. Der Brauch wurde im 17. Jahrhundert von
Königin Kristina von Schweden eingeführt. Deftig und reichhaltig: das Weihnachtsessen
Nach dem Gottesdienst genießen die Esten ein üppiges Weih-
Der „Weihnachtssamstag“: nachtmahl, zu dem Blutwurst („Verivorst“), Sülze, Sauerkraut, Kar-
Gedichte, Sauna und Gottesdienst
toffeln und Preiselbeermarmelade gehören. Außerdem werden
Die Esten feiern Weihnachten hauptsächlich am 24. Dezember, kalte Speisen, wie süß-saurer Kürbissalat, und Pasteten serviert.
dem „Jõululaupäev“ (Weihnachtssamstag); die russische Bevölke- Eine alte Tradition besagt, dass man neun- bis zwölfmal am Weih-
rung Estlands begeht das Fest erst am 6. Januar. Die Geschenke nachtstag essen sollte, um auch im kommenden Jahr genug zu
bringt der Weihnachtsmann „Jõuluvana“, der mit seinem Schlitten essen zu haben. Als Glücksbringer gelten selbst gebackenes Weih-
aus Finnland anreist und von den Wichteln „Päkapikks“ unterstützt nachtsbrot in Form eines Tieres und der überraschende Biss auf
wird. Vor dem Auspacken der Geschenke müssen die Kinder ein eine harte Münze, die statt Fleisch als Füllung in gekochten Pelme-
Gedicht aufsagen, eine kleine Geschichte erzählen oder ein Lied ni versteckt wird. Als Süßigkeiten sind Marzipan, Schmalzgebäck-
singen. Bevor es in die Kirche geht, besuchen viele Esten die Sauna, Schweineohren und Lebkuchen beliebt. Die jährliche Ausstellung
um sich gründlich für den Gottesdienst zu reinigen. „PiparkoogiMaania“ in Tallin zeigt die erstaunlichsten Kunstwerke.
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