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Wirtschaft im Norden klagt über trübe Stimmung

Kiels Kammerpräsident verlangt systematische Investitionen in die Infrastruktur

Kiel. Die Wirtschaft Schleswig-Holsteins blickt mit Sorge in die Zukunft. „Die Stimmung bleibt unter dem langfristigen Durchschnitt“, sagt der Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Kiel, Knud Hansen, im Interview mit den Kieler Nachrichten. „Das ist alarmierend.“ Bereits bei der Konjunkturumfrage der IHK Schleswig-Holstein sahen viele Unternehmen Anfang des Jahres 2024 die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als größten Risikofaktor – noch vor dem Fachkräftemangel. „Auch die neuen Zahlen zeigen deutlich, dass die Rahmenbedingungen nicht so sind, dass Unternehmerinnen und Unternehmer wieder Mut haben“, sagt Hansen. Unternehmen seien bei Investitionen in die Zukunft zurückhaltend, weil sie wenig Verlässlichkeit verspürten.

„Trist“ nennt auch Nordmetall-Sprecher Alexander Luckow die Lage der Wirtschaft: „Wir mussten zwischen Januar und Mai sieben Prozent weniger Produktionsniveau verzeichnen als im gesamten vergangenen Jahr. Im Vergleich zum Vorkrisenniveau von 2018 sind es sogar 14 Prozent weniger. Das sind heftige Werte.“ Das hänge genauso mit der internationalen Lage zusammen wie mit Rahmenbedingungen in Deutschland. Luckow: „Auf Landesebene wurde eine Bundesratsinitiative zum Bürokratieabbau gestartet. Das ist lobenswert.“ Parallel belaste die Europäische Union aber Unternehmen mit neuen Vorschriften zur Berichterstattung über Nachhaltigkeit.

Unternehmen in Industriegebieten hätten demnach oft Probleme, sich zu vergrößern, weil sie von Behörden nicht die nötige Unterstützung bekämen oder Naturschutz- über Wirtschaftsbelange gestellt würden. Jede fünfte Firma denke über Produktionsverlagerung ins Ausland nach.

„Bei der Autobahn 20 werden wir nicht verwöhnt aus Berlin. Auch der Zustand der Bahn ist ein Hemmschuh“, sagt Michael Thomas Fröhlich von der Vereinigung der Unternehmensverbände und spricht von einer „mauen“ Stimmung. Sorge bereite auch die Hinterlandanbindung zum Fehmarnbelttunnel. „Die Dänen liegen drei Nasenlängen vor Schleswig-Holstein.“

Hansen sieht die Investition in Infrastruktur als entscheidenden Punkt. „Auch der Batteriehersteller Northvolt braucht für seine Neubaupläne an der Westküste eine funktionierende Infrastruktur, genauso wie die maritime Wirtschaft und die Unternehmen, die die Energiewende schaffen wollen“, so der IHK-Präsident. „Wenn wir eine Menge Windräder auf See installieren wollen, brauchen wir funktionierende Häfen.“

Wichtigste Seehäfen zur Anlieferung von Bauteilen für Offshore-Parks sind Cuxhaven und das dänische Esbjerg. Schleswig-Holsteins Häfen sind vor allem für Versorgung und Service relevant. „Auch die Leistung der Windenergie an Land soll um zehn bis zwölf Gigawatt pro Jahr steigen“, sagt Marcus Hrach vom Landesverband Erneuerbare Energien. „Damit der Ausbau klappt, müssen wir überlegen, wie wir Anlagenteile quer durchs Land transportieren.“

„Mir fehlt die verkehrspolitische Vision“
Kieler IHK-Präsident Knud Hansen im Interview über mangelnde Strategien für Infrastruktur und Ansiedlungen
Der Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Kiel, Knud Hansen, würde sich an vielen Stellen der Wirtschaftspolitik eine bessere Einbindung der Unternehmen wünschen. Vor allem beim Thema Infrastruktur und der Gewerbeansiedlungsstrategie der Stadt sieht er Luft nach oben, sagt er im Interview.


Ein wichtiger Wirtschaftszweig ist der Tourismus. Die Politik in Kiel debattiert für die Landeshauptstadt eine Bettensteuer. Wie steht die IHK dazu?

Knud Hansen: Ich halte nichts davon, dass wir so ein weiteres Bürokratie-Monster schaffen. Egal, ob Bettensteuer oder Tourismusabgabe, beides muss berechnet und abgerechnet werden. Durch viel Mut und Investitionsbereitschaft haben wir die Zeiten der Pandemie sehr gut überstanden und wieder viele Touristen hier. Uns treibt schon die Sorge um, dass wir mit so einer Abgabe den Tourismus abwürgen und weniger Urlauber hierherkommen. Wir sehen diese einseitige Zusatzbelastung als problematisch an. Die städtischen Einnahmen würden der Branche letztlich gar nicht zugutekommen, sondern zum Stopfen vorhandener städtischer Finanzierungslücken genutzt werden.

Vor einem Jahr haben Sie kein gutes Haar an der Kooperationsvereinbarung des grünen-roten Rathaus-Bündnisses in Kiel gelassen. Ist die Wirtschaft so vernachlässigt worden, wie befürchtet?

Beim Thema Gewerbeansiedlung stehen weiter die angedachten Ansiedlungskriterien im Raum. Wir raten dringend davon ab, in gute und böse Wirtschaft zu unterscheiden. Das wäre ein Eingriff in die Gewerbefreiheit. Stattdessen sollten die in der Gewerbe- und Industrieflächenstrategie identifizierten Kernbranchen größtmögliche Unterstützung erfahren. Die Stadt müsste Chancen ergreifen, indem sie Wirtschaftspolitik macht, die dafür sorgt, dass Unternehmen Lust haben, in unsere Region zu kommen. Als IHK wurden wir an der Entwicklung einer neuen Strategie nicht beteiligt, wir würden gern stärker unterstützen. Auch wenn es um die Anbindung der A21 an Kiel als Oberzentrum geht, werden wir nicht gehört, obwohl das eine wichtige Rolle für die Wirtschaft spielt.

Bleiben wir beim Verkehr. Die Baustelle auf dem Theodor-Heuss-Ring nervt alle. Wie hart trifft das die Wirtschaft?

Es ist wichtig, dass wir Straßen sanieren. Baustellen sind schmerzhaft und es ist normal, dass es mal kurzfristig zu Engpässen kommt. Aber die Auswirkungen sind schon hart. Wir hören von einzelnen Unternehmen vom Westufer, die momentan keine Aufträge auf dem Ostufer annehmen und andersherum, weil die Fahrtzeiten einfach zu lang sind. Wenn das teilweise zweieinhalb Stunden dauert, sind das dramatische Zustände. Die Baustellen der verschiedenen Bauherren müssen besser koordiniert werden. Mir fehlt grundsätzlich eine verkehrspolitische Vision. Wir brauchen einen Masterplan.

An anderer Stelle wird gerade auf Landesebene ein Masterplan erarbeitet. Die berufsschulische Bildung soll anders verteilt werden. Dagegen regt sich bereits Kritik, weil das längere Wege für Azubis bedeuten dürfte. Was taugt dieser Plan?

Die duale Ausbildung hat einen hohen Stellenwert. Wenn wir das nicht endlich anerkennen, müssen wir gar nicht erst versuchen, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wenn wir die Ausbildung zukunftsfähig machen wollen, dürfen wir nicht ein System erhalten, das für alle sichtbar nicht mehr funktioniert. Wir müssen sie so organisieren, dass Auszubildende kurze Wege haben. Wir haben weniger Schüler und weniger Geld, deshalb braucht es intelligente Lösungen.

Ich verstehe nicht, warum wir in der Pandemie Kindern ab der fünften Klasse digitalen Unterricht zutrauen und es seit Jahrzehnten Fernuniversitäten gibt, wir das aber in der beruflichen Bildung nicht wagen. Wir könnten doch Basisunterricht in Präsenz machen, aber fachspezifische Themen digital behandeln. Es gibt auch Regionen, wo es genügend Schüler gäbe, aber ihr Fachgebiet nicht an der örtlichen Schule angeboten wird. Warum fahren nicht mal Lehrer dahin, wo die Schüler sind, sondern umgekehrt? Das ist offenbar ein Tabuthema.

Interview: Anne Holbach und Tillmann Post

Quellenangabe: Ostholsteiner Zeitung vom 23.07.2024, Seite 1 + 11